Einleitung

Seealpen/Parc National du Mercantour

Als würde eine Glocke angeschlagen, so wirken auf manchen Steingartenfreund die Namen Seealpen und Mercantour Nationalpark . Und in der Aura dieser Anklänge erscheinen die Semperviven tectorum Val Casterino und Sempervivum calcareum sowie die Steinbreche Saxifraga florulenta, Saxifraga callosa und Saxifraga cochlearis vor dem inneren Auge. Sie sind alle untrennbar mit diesem Gebiet verbunden.

Wir, mein Wanderkamerad und Pflanzenfreund Lothar Mayer und ich, hatten uns vorgenommen, diese Pflanzenschätze am Naturstandort zu bewundern.

Die französischen Seealpen gelten ganz zu Recht als Wander- und Pflanzenparadies. Das Gebiet, nur knapp 40 Kilometer nördlich von Nizza gelegen, dehnt sich weit nach Norden aus. Begrenzt wird es nach Osten hin durch die Grenze zu Italien. Die Berge des Mercantour Nationalparks recken sich bis zu dreitausend Meter in die Höhe und haben so immer beste Sicht auf das Mittelmeer.

Auf Grund dieser geografischen Situation reicht die Wandersaison von April bis weit in den Oktober hinein. Wir wählten den Juni, weil die Chance auf reich blühende Steinbrech-Arten zu dieser Zeit besonders groß ist. Die Blüte der vielen Primel-Arten ist zu dieser Zeit zwar schon lange vorbei und der Blühhöhepunkt des sagenhaften Saxifraga florulenta steht noch aus.

Für Wanderer aus dem deutschsprachigen Raum sind die Seealpen kaum mehr als eine Terra Incognita und doch ist gerade das Gebiet im Département Alpes-Maritimes im südöstlichsten Zipfel Frankreichs ein wahres Paradies.

Steinböcke, die gleich den Wanderer die königlichen Jagdsteige, Militärwege und Schmugglerrouten nutzen, sind sicher anzutreffen, während der Wolf sich im verborgenen aufhält und gemeinsam mit winterlichem Eis und Schnee die Populationsgröße der Steinböcke reguliert.

Eine gute Hüttendichte macht die Seealpen zwischen Piemont und Cote d Azur zu einem einmaligen Wander- und Trekkingparadies unter des Südens lachender Sonne.

Auch Wanderer ohne Französischkenntnisse kommen in dem Gebiet gut zurecht. Ein wenig Englisch und eine freundliche Ansprache helfen fast jede Hürde zu überwinden.

Die Unterkunftsituation ist gut. Freilich gibt es auch hier Klassenunterschiede, die nicht immer sofort zu identifizieren sind. Eine kurze Besichtigung der Unterkunft ist üblich und deshalb in jedem Fall anzuraten.

Die Verpflegungssituation entspricht im Allgemeinen der im gesamten Alpenbogen. Allerdings ist das Raffinement, das in den Restaurants sogar im alpinen Süden Frankreichs üblich ist, durchaus zu erwähnen und zu loben.

Das Preisniveau für Unterkunft und Verköstigung entspricht in etwa der Situation in Deutschland.

Als Stützpunkte dienten uns die kleinen Städtchen Roquebilliere und St Martin Vesubi. Von dort aus erkundeten wir die Region um den Lac de Fenestre und vom Talschluss des Vallon de Gordolasque aus schließlich den Bereich um den Lac Autiere. Nach weiteren naturkundlichen Erkundungsgängen führte uns eine Fahrt mit sehr vielen Zwischenstopps schließlich durch die beiden großartigen Schluchten Gorges du Cianes und Gorges de Daluis.

Am letzten Tag verbrachten wir noch einige Stunden in der Nähe von La Brigue auf der erfolgreichen Suche nach Saxifraga cochlearis.

Randvoll mit Eindrücken von dieser zwar kurzen, aber doch ungewöhnlich erlebnisreichen Reise ging es schließlich via Col de Tende in Richtung Heimat.

Denn in den heißen Sommermonaten benötigt das heimische Alpinum schließlich eine besondere Pflege und unsere vollste Aufmerksamkeit.



Nachtrag

Weil unsere Reise im Jahr 2016 so viele unerwartet und großartige Einblicke in die Natur des Mercantour-Nationalparks gebracht hatte, mußte der ersten unbedingt eine zweite Reise folgen.

Bereits im Frühling 2017 versuchten wir in Tende ein Quartier zu buchen. Der Versuch schlug aber leider fehl. Schließlich reisten wir auf „gut Glück“ nach La Brigue und fanden tatsächlich in der Ortsmitte eine bescheidene Unterkunft für die Dauer unseres Kurzurlaubs.

Von hier aus besuchten wir das legendäre Val Casterino mit herrlichen Semperviven und Jovibarbas, Schmetterlingen und einem ungeahnten Pflanzenreichtum.

Nur ein Planzenkleinod, das auch manchen Steingarten in unseren Breiten schmückt, möchten wir herausgreifen. Es handelt sich um die Pfauen-Nelke Dianthis pavonius, die während unseres Aufenthaltes in voller Blüte stand.

Im oberen Roja-Tal in der Nähe von La Brigue war es immer wieder der Steinbrech Saxifraga cochlearis, der uns herausforderte. Pflanzen mit unterschiedlichsten Blattformen, klein- und kleinstwüchsige Exemplare auf prallsonnigen, steinigen Hängen, unmittelbar nebeneinanderstehend zählte zu den Höhepunkten unserer Reise.

Aber auch die Umgebung von Tende, die herrlichen Polster von Saxifraga callosa sind für Pflanzenfreunde ein Genuß.

Das mittelalterliche Städtchen Tende bietet zudem ganz ungewohnte Einblicke und Eindrücke einer mittelalterlichen Grenzstadt.

Aber vor allem die zauberhafte Ansicht von Saorge mit seinen verwinkelten, engen Gassen und malerischen Plätzen wird uns immer in allerbester Erinnerung bleiben.

Aber auch der Besuch des Vallon de Caïros betrachten wir keinesfalls als Zeitverschwendung.

Ob es noch eine dritte Reise gibt? Wenn es nur nicht gar so weit wäre...